Mein Spezialvikariat in Finnland

Month: February 2022

Souverän auf dem Eis – Gedanken über Leitung

Schlittschuhbahn an der Johanneksenkirkko

Wir haben vor unserer Wohnung in Helsinki eine öffentliche Schlittschuhbahn. Das ist an sich hier gar nichts so besonderes, weil in der Winterzeit die Bolzplätze überflutet werden und herrlich als Schlittschuhbahn genutzt werden können. – Und das werden sie auch ganz fleißig. Jung und Alt trifft sich hier! Zu allen Zeiten des Tages sieht man Menschen auf dem Eis. Auf der Straße kommen einem nicht selten Menschen entgegen, die die Schlittschuhe lässig über der Schulter tragen. Einfach so – mal kurz übers Eis gleiten.

Aber das Eis bleibt nicht nur auf den gut begrenzten Schlittschuhbahnen. Nein – sobald es ein wenig wärmer wird und dann wieder friert, wird die ganze Straße (und Bürgersteige) zu einer einzigen Rutschpartie. Eis überall. Dann wird das Spazierengehen zu einer richtigen Herausforderung. Schnell mal von A nach B laufen geht dann nicht mehr. Langsam und bedacht muss man einen Fuß vor den Nächsten setzen, damit man nicht den Halt verliert und unsanft auf dem Boden landet. Natürlich haben die gut ausgestatteten Menschen in Helsinki Spikes, die sie sich unter die Schuhe klemmen können. Dann ist die Wahrscheinlichkeit auszurutschen nicht mehr so groß. Aber trotzdem – so oder so – beim Laufen ist Vorsicht geboten!

Und das sollte eigentlich keine Schlittschuhbahn sein!

In unserer Gemeinde haben sich in den letzten Wochen Pastor*innen aus Deutschland für die nächste Wahl des Hauptpastors oder der Hauptpastorin vorgestellt. Die Pastoren sind deutsche Pfarrer oder Pfarrerinnen, die für mindestens 6 Jahre von der EKD ins Ausland gesendet werden. Immer wenn eine neue Pfarrperson kommt, wird diese nach vorheriger Vorstellung und Gesprächen von den Gemeindemitgliedern gewählt. Solche Vorstellungswochenenden hatten wir also in den letzten Wochen. Bei allen kam früher oder später die Frage nach dem Führungsstil auf. Während ich also hier meine Erfahrungen zu Bewerbungen mache, heißt es gleichzeitig auch immer wieder für mich nach Deutschland zu schauen, um meinen Pfarrdienst auf Probe vorzubereiten. Auch das bringt das Spezialvikariat im Ausland mit sich – sowohl hier zu sein als auch gleichzeitig schon wieder mit einem Fuß in Deutschland zu stehen.

Auf meinem Heimweg von den Gesprächen schlitterte ich über das Eis. Die Führungsfrage ließ mich nicht los. Noch sind meine Gemeindeführungserfahrungen gering. Aber eines habe ich mir für die Zukunft gemerkt: Es geht viel ums Hinhören und die Reflexion darüber. Was und wen höre ich in der Gemeinde? Wo sind die lauten Stimmen und aber auch, wo sind die Leisen? Alle sollten wahrgenommen werden. Und dann ist es die Aufgabe der Führung, die unterschiedlichen Stimmen wertzuschätzen und vermittelnd aufzutreten. Ich kann mir vorstellen, dass das nicht immer leicht sein wird und ohne Konflikte abläuft. Aber hier in Finnland habe ich gelernt, dass wenn der Boden zentimeterweise mit Eis bedeckt ist und Rutschgefahr besteht, die Menschen sich zu helfen wissen. Denn es gibt Spikes oder Schlittschuhe. Wenn also Situationen auf mich zukommen, die die Gefahr des Ausrutschens mit sich bringen – gerade auch in Bezug auf Gemeindeführung – dann ist es gut zu wissen, dass es Hilfsmittel gibt… Entweder ich schnalle mir Spikes unter die Füße, die mir Festigkeit am Boden geben. Dann bin ich selbst die Person, die Halt für die Situation gibt. Oder aber ich ziehe mir Schlittschuhe an, die mich über das Eis gleiten lassen. Dann geht es weniger um Standhaftigkeit als vielmehr ums Umdenken. Die Schlittschuhe bringen neue Energie und verändern den Blickwinkel. Ich muss nicht fest stehen, sondern darf in Bewegung bleiben. Mit der Gemeinde gemeinsam übers Eis gleiten. Gemeinsam in Bewegung. Gemeinsam im Schwung – Was ein schönes Bild!

Ich glaube, ich gehe mir gleich mal Schlittschuhe besorgen! Vielleicht kann ich sie ja bald schon gebrauchen!!!

Ruhe im Schnee

Friedhöfe – Orte der Erinnerung und Beisetzung. Orte der Ruhe und Trauer. Orte der Vergangenheit und Gegenwart. Vor kurzem hatten wir in unserer Gemeinde eine Trauerfeier, die mich zum Nachdenken gebracht hat. Bei manchen Trauerfeiern ist die Friedhofskapelle voll mit Menschen und Angehörigen, die der verstorbenen Person die letzte Ehre erweisen. Bei Anderen sind es eine Hand voll Menschen und ganz selten aber kommt niemand. Und genau so eine Trauerfeier hatten wir:

Die Friedhofskapelle war geschmückt, die Kerzen haben geleuchtet, der Sarg war schön aufgebahrt, aber keiner da, der sich verabschieden kam. Niemand, der am Sarg oder der Urne stand, um des Menschens zu gedenken. Wir wussten schon im Vorfeld, dass wahrscheinlich keine Personen an der Feier teilnehmen werden. Und so machten der Pfarrer, ich und eine weitere Person aus der Gemeinde uns gemeinsam auf den Weg, um diesen Menschen in der Gesamtheit seines Daseins liturgisch zu würdigen. Wir standen nun also zu dritt in dieser Kapelle und gedachten an ein uns unbekanntes Leben.

Die Friedhofskapelle in Honkanummi

Ein gelebtes Leben geht zu Ende.

Ist es überhaupt wichtig, eine liturgische Feier zu veranstalten, wenn es keinen Bedarf auf Seiten der Hinterbliebenen gibt? Hinter dieser Frage steht noch eine andere Frage: Für wen machen wir die Trauerfeier? Ist es eine Feierlichkeit für die Menschen, die sich so von einer verstorbenen Person verabschieden können oder ist das Ritual für die verstorbene Person? Für wen und zu wem sprechen wir in diesem Gottesdienst? Eigentlich könnte man ja sagen, die verstorbene Person ist tot und nicht mehr da – sie ist nun bei Gott – und braucht keine menschliche “Begleitung” mehr. Auf der anderen Seite empfand ich unsere Feier im kleinen Kreis als sehr wichtig – gerade, weil sonst niemand anderes dazu kam. Die Verabschiedung eines Menschen, der nun nicht mehr ist. Das fertig erzählte Leben wertschätzen. Dabei geht es nicht darum aufzuzählen, was die Person alles Tolles erreicht hat, oder gar, was alles falsch gelaufen ist. Nein – vielmehr geht es darum zu würdigen, dass hier eine Person verstorben ist, die sich am Leben versucht hat; die Schritt für Schritt im Chaos des Lebens voran gekommen ist. Mal mit mehr Orientierung und mal mit weniger – wie wir es halt alle Menschen machen. Es ist also diese Wertschätzung des gelebten Lebens, die in der Trauerfeier seinen Platz hat. Und dafür kommt es nicht auf die Anzahl der Menschen an, die vor Ort sind. Aber meiner Meinung nach ist es trotzdem wichtig, dass es jemand macht und jemand da ist. Und so ist das auch die Aufgabe von uns Pfarrer*innen: Da zu sein, wenn sonst niemand da sein kann. Feierlich das beendete menschliche Leben gedenken, wenn auch sonst keine weitere Person Anteil nimmt. So haben wir im kleinen Kreis eine kleine liturgische Feier gemacht mit Musik, Psalm, Gebet und Aussegnung.

Anders als in Deutschland ist die Trauerfeier in Finnland von der Beisetzung zeitlich getrennt. Nach der Trauerfeier verbleibt der Sarg in der Kapelle und wird vom Beerdigungsinsitut wieder mitgenommen, um dann (häufig auch Wochen später) in einer sehr kleinen Zeremomie am Grab beigesetzt zu werden. Nicht selten ist diese Beisetzung auch ganz ohne Pfarrperson und nur im Kreise der Familie zusammen mit dem Beerdigungsinstitut. Im Winter stehen die Beisetzungen unter einer besonderen Herausforderung: Der Boden ist gefroren und es gibt meterweise Schnee. So ist es nur verständlich, dass es weniger Beerdigungen im Winter gibt und einige sogar erst im Frühling stattfinden können.

Als die Trauerfeier also geendet hatte, fuhren (Ja! in Helsinki sind die Friedhöfe so groß, dass man mit dem Auto darüber fährt) wir noch zu der Stelle, wo Mitglieder der deutschen Gemeinde beerdigt sind. Auf dem Friedhof in Hokanummi gibt es zwei Reihen, die extra für Mitglieder der deutschen Gemeinde reserviert sind. Dort angekommen war ich überrascht, von dem Bild, das sich mir bot: Schnee und Gräber. Eine ganz besondere Kombination. Umhüllt von dem vielen Schnee strahlten die Grabsteine erhabene Ruhe aus. Geborgen unter dem ganzen Schnee waren die Gräber kaum zu erkennen.

Die Ruhe im Schnee

Und dann lernte ich, was es heißt im Winter ein Grab zu besuchen. Mit großer Schneeschippe ausgestattet, machten wir uns auf den Weg, den Grabstein des früheren Pfarrers der deutschen Gemeinde zu besuchen. Eine Person ging voraus und spurte den Weg und ich stapfte in den Fußspuren hinterher. Danach hieß es dann erstmal den richtigen Grabplatz im Schnee zu finden. In der Hoffnung uns an der richtigen Stelle zu befinden, wurde begonnen das Grab freizuschaufeln. Das dauerte eine kleine Weile, aber endlich war der Grabstein zu sehen – und ja – es war der Richtige. Dann noch den Schnee abkratzen und eine Kerze anzünden. 40 cm unterhalb der Schneedecke brannte nun also das Licht. Von Weitem nicht zu sehen und doch war es da…

Verborgen im Schnee

ein Licht

für das, was auch uns verborgen bleibt

das Leben jenseits des Todes.

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