Mein Spezialvikariat in Finnland

Month: March 2022

Ein Gebet für den Frieden

“Es ist Krieg. Russland hat die Ukraine angegriffen.”

Mit diesen Worten beginnt unser Friedensgebet in der deutschen Gemeinde in Helsinki, das jeden Tag um 12 Uhr für ein paar Minuten des Innehaltens Menschen zusammenkommen lässt. Es ist keine große Zusammenkunft, und doch finden sich von Montag bis Freitag eine Handvoll Menschen (oder mehr), um ihre Sorgen und Wünsche vor Gott zu bringen. Zehn Minuten für den Frieden!

Ich habe das Gefühl, dass sich gerade hier in Finnland die Menschen ihres östlichen Nachbarns auf eine besondere Weise bewusst sind. Mit einer ca. 1430 km lange Grenze zu Russland, handelt es sich um die längste Staatsgrenze ihres Landes. Es ist also nicht das entfernte Russland, sondern das direkte Nachbarland.

Ich wurde letztens von einem Bekannten aus Deutschland gefragt, ob der Krieg hier wegen der direkten Nachbarschaft zu Russland den Menschen mehr Angst einjagt. Das kann ich so natürlich nicht beantworten. Mir scheint aber als seien die Menschen wachsam, denn sie verbindet eine lange Geschichte mit ihrem Nachbarland.

Krieg in der Ukraine also – so weit weg und doch so nah. Es geht uns alle an.

Was können wir tun? Diese Frage beschäftigt die Menschen hier. Und auch die Konfirmanden haben sich im Rahmen ihres Konfisamstages Gedanken darüber gemacht. Wie können wir helfen für die Menschen in der Ukraine? Spenden! Und diese werden auf vielfältige Weise gesammelt. So zeigt die Homepage der Gemeinde Adressen für Spendenmöglichkeiten auf, die das Bistum Porvoo extra für Ihre Gemeinden erstellt hat. Beten, haben sie auch genannt, die Konfirmanden! Beten für den Frieden!

Und das tun wir hier. Als Spezialvikarin habe ich momentan die Zeit, fast täglich diesen Gebeten beizuwohnen. Einen Moment Stille und Zeit für den Frieden, der mir bisher doch immer viel zu selbstverständlich erschien.

ein Friedensgebet auch für den Frauenkreis der Gemeinde

Und so sitze ich mit Menschen vor den Altarstufen und bitte um Frieden in der Welt.Wir beten gemeinsam. Wir schweigen gemeinsam. Manchmal frage ich mich ja, ob es wirklich was bringt – das Beten?

Denn was müsste überhaupt passieren, dass sich Friede einstellt? Ich weiß es nicht. Ich weiß einfach nicht, was geschehen müsste, damit der Krieg ein Ende findet. Aber obwohl oder gerade weil ich es nicht weiß, bete ich für eine bessere Welt. Nehme Gott in Anspruch. “Ach Gott, wie sehr wünsche ich, dass du etwas tust, damit Friede wird.” Dabei glaube ich nicht, dass Gott seine magische Keule schwingt und alle Bösewichte des Krieges auslöscht. Nein – so kann beten nicht funktionieren! Und doch bin ich überzeugt davon, dass es was verändert.

Und je häufiger ich zum Mittagsgebet gehe, merke ich, dass das Gebet vielmehr etwas mit mir macht. Das tägliche Bitten um das Wirken Gottes lässt mich anders zurück. Manchmal denke ich, dass es mich stärkt. Ein ander Mal ist es gerade das Gefühl der Ohnmacht laut ausgesprochen zu hören, dass ich in Bezug auf den Krieg immer wieder verspüre. Und manchmal wage ich sogar zu hoffen, dass Friede möglich ist. Dass wie weiß ich immer noch nicht.

Letzte Woche waren auch mehrmals Eltern mit ihren Kindern im Gebet. Zwei quirlige Kleinkinder im Alter von ungefähr 2 Jahren. Während wir uns also besannen und beteten, spielten die Kinder vorm Altarraum. Sie bestaunten die Kerze und liefen sogar im Kreis um den Altar herum. Soviel Lebendigkeit – und das alles, während wir beteten. Unterm (Altar)kreuz herrschte pure Lebendigkeit.

Das Kreuz und das Leben. Fast eine kleine Osterbotschaft mitten in der Passionzeit.

Und ich dachte: “Eigentlich ist es diese Lebendigkeit, die wir Menschen dem Grauen des Krieges entgegensetzen können. Aktivität und das Entdecken neuer Möglichkeiten…”

Ich werde sie weiterhin besuchen – unsere Friedensgebete. Und ich bin gespannt, was sie noch für Gedanken und Fragen in mir aufkommen lassen.

Sakramente spenden- Du nicht!

“Ohne Ordination ist es schwierig in den skandinavischen Ländern als Pastorin zu arbeiten!” – Das wurde mir schon zu Beginn meines Spezialvikariats gesagt. Aber irgendwie habe ich es nicht ganz glauben wollen. Bin ich doch eine ausgebildete und fertig geprüfte Theologin. Damals war mir der Unterschied der Ausbildungswege und das damit einhergehende unterschiedliche Pastorenverständnis noch nicht klar.

In meiner Landeskirche, der Evangelischen Kirche Hessen und Nassau, wird die Ordination erst nach dem 2. theologischen Examen und nach dem Spezialvikariat in die Gemeinde hinein vollzogen. Erst braucht man eine Gemeinde, in der man arbeitet. Und danach wird man in diese Gemeinde hinein ordiniert. “Ordinare” ist lateinisch und heißt soviel wie “Weihe, Bestellung”, wobei in der evangelischen Kirche die Ordination nicht als ein Weiheakt verstanden wird. Vielmehr ist es die gottesdienstliche Einsetzung der Pfarrperson in sein Amt mit all seinen Rechten und Pflichten, die dazu gehören. “berufen – gesegnet – gesendet”. So könnte das evangelische Ordinationsverständnis zusammengefasst werden. Weil man im Vikariat noch nicht ordiniert ist, wird man einer Pfarrperson zugeteilt, die einen in den Pfarrberuf einführt und die Verantwortung der Vikarsperson übernimmt. Man darf dann gottesdienstliche und sakramentale Akte im Beisein der Lehrpfarrperson durchführen. Es heißt: man hat Anteil an der Beauftragung und Ordination des Lehrpfarrers oder der Lehrpfarrerin, sodass man die sakramentalen und Gottesdienstlichen Handlungen machen und erlernen kann.

Nun kam ich also nicht ordiniert nach Finnland und dachte, dass ich auch hier – wie in Deutschland auch – an der Ordination meines Mentors teilhaben kann. Aber so einfach ist das hier nicht!

Nein – hier gehts nicht lang!

Hier in Finnland gibt es kein Vikariat. Nach dem Studium macht man ein kurzen kurzen Vorbereitungskurs des Bistums von 2 – 4 Wochen und danach kommt man direkt als “Seurakuntapastori”, einer einfachen Gemeindepastorin, in die Gemeinde und wird ordiniert. Die praktische Ausbildung, die in den ersten Amtsjahren mit vielen Seminaren begleitet ist, wird nicht wie in Deutschland unordiniert vollzogen (wie im Vikariat), sondern bereits ordiniert. Da die Gemeinden in der Lutherischen Kirche Finnland meist aus mehreren Pastoren und Pastorinnen bestehen, beginnt man als “einfacher” Gemeindepastor/in. Dabei hat man noch keine gemeindeleitende Funktion, weil es immer noch den “Kirkkoherra” gibt, den Hauptpastor oder die Hauptpastorin. Kirkkoherras sind die gemeindeleitenden Pastoren und Pastorinnen, die dafür eine zusätzliche Ausbildung und einige Jahre an Gemeindeerfahrung nachweisen müssen.

Ich bin hier also in Finnland in einer Position, die den Menschen nicht bekannt ist. Denn die finnische Pastor*innenausbildung funktioniert auf andere Weise. Das Abendmahl und die Taufe darf ich einfach qua finnischen Kirchengesetz nicht durchführen. Es ist einfach nicht erlaubt! Und einen Anteil an der Ordination des Pfarrmentors gibt es schlicht und ergreifend nicht!

Nun könnte man ja sagen: Abendmahl und Taufe – das sind einfach die zwei Sachen, die ich nicht machen kann. Gottesdienste und Beerdigungen als liturgische Handlungen darf ich ja im Beisein meines Mentors (wie im Vikariat auch) machen. Aber nicht selten kam auch dort die Frage: “Darfst du das überhaupt?”. Gerade bei Trauerfeiern wurde bisher immer auf eine richtig ordinierte Person zurückgegriffen. Nicht, weil es nicht anders ging, sondern schlichtweg, weil es für die Leute hier schwer greifbar ist, was ich eigentlich bin. Ja – Was bin ich eigentlich?

Examinierte Theologin. Fertig ausgebildete Pfarrerin. Nicht ordinierte Person.

Ach – wie einfach wäre es doch da, wenn ich vor meinem Auslandsaufenthalt ordiniert worden wäre. Manche Landeskirchen machen das – ordinieren ihre Spezialvikariatskandidaten vor ihrem Auslandsaufenthalt. Ich für meinen Teil denke mir manchmal, dass hätte mir vielleicht einiges einfacher machen können.

“Irgendwo dazwischen: Hier bin ich, hier bin ich. Ein ewiges – suchen und vermissen: Hier bin ich, hier bin ich!” Diese Zeilen eines Liedes fallen mir ein.

Ja! Das ist das Spezialvikariat auch für mich! – eine permante Suche nach der eigenen Rolle.

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