Mein Spezialvikariat in Finnland

Month: April 2022

Zeit für den Frühlingsputz

Es ist Frühling in Helsinki. Die Straßen werden von den Kehrmaschinen gesäubert. Der ganze Split des Winters wird zusammengekehrt und weggebracht. Die Parks werden gereinigt. Die Blätterhaufen zusammengetragen, um sie zu entsorgen.


Wann gibt es in unserer Kirche mal einen Frühlingsputz? Daran musste ich denken, als ich mich heute in Diskussionen wieder mal in das finnische Kirchensystem eingearbeitet habe, das doch von dem Deutschen in so Vielem unterschiedlich ist. Ich habe das Gefühl in der Kirche in Deutschland steht ein Frühlingsputz an. Nicht nur steht er an, eher sind wir als Kirche vielleicht schon seit längerem dabei einen Frühlingsputz durchzuführen. Altlasten werden entsorgt: Dinge, die liegen geblieben sind und heute einfach keinen Sinn mehr haben. Wie von Baum gefallene Blätter, werden veraltete Strukturen zusammengekehrt, um sie zu entsorgen. Um Platz zu schaffen für eine neue Struktur und die Wiese und die Wege schön begehbar zu machen. In Bezug auf die Kirche stellt sich dann natürlich die Frage, was diese Blätter sind, was muss überarbeitet werden und was aufgegeben werden sollte, damit Energie und Platz für Neues da ist. Diese Frage zu beantworten ist nicht immer einfach und braucht viel Kommunikation. Das sehe ich gerade in den deutschen Gemeinden, in denen einschlägige Veränderungen anstehen: Obwohl wir wissen, warum die Sachen verändert werden, fällt es uns zuweilen doch sehr schwer, die Schritte tatsächlich einzuleiten.

Dabei tut frischer Wind doch gut…

Die Alepafahrräder und E- Roller werden in Helsinki wieder aufgebaut und rausgestellt.
Nach dem Frühlingsputz für die City, kann man sich nun mit neuer Energie aufs Fahrrad schwingen. Hier in Helsinki gibt es eine Werbung für die diese mietbaren Citybikes: “Nyt on varma kevään merkki! Kaupunkipyörät palaavat” was soviel heißt wie “Jetzt ist ein sicheres Zeichen für den Frühling! Citybikes sind zurück!”

An vielen Ecken in Helsinki gibt es eine Station um sich diese Fahrräder zu leihen. Man kann kurze Zeit damit fahren und sie an der nächsten Ecke wieder anschließen und für andere Passanten zurück lassen. Auf langatmige Kaufangebote eines eigenen Fahrrads kann so verzichtet werden. Ich brauche mir keine Gedanken darüber zu machen, welches Fahrrad für mich das Richtige ist. Ich habe hier ein einfaches Angebot an einem simplen Fahrrad, auf dem ich für eine Weile fahren kann. Das reicht vollkommen.

Und auch diese Beobachtung bringt mich an diesem Morgen zum Nachdenken über die Kirche in Deutschland: Vielleicht ist es ja das, was wir als Kirche brauchen: Ein City-Bike-Angebot… Ein Angebot in der Kirche, das nicht lebensänglich gedacht werden muss, sondern einfach auch mal nur bis zur nächsten Ecke. Die Eintrittsschwelle sollte möglichst niedrig gehalten werden. Ein Angebot, dass nicht auf Dauer der Menschen und ihrem konstanten regelmäßigen Besuch aus ist, sondern Aktionen und Veranstaltungen, die offen sind, für je andere und neue (oder halt auch bekannte) Gesichter. Vielleicht gibt es in der Kirche wie bei den Citybikes dann auch mal Zeiten, in denen sie mehr gebraucht wird. Zeiten, in denen häufig das Angebot genutzt wird. Das muss aber umgegkehrt nicht heißen, dass sie in den anderen Zeiten keine Rolle spielt. Wie auch ich durch die Stadt laufe und mich täglich dieser Fahrräder erfreue, die ich jeder Zeit nutzen könnte, so ist meiner Meinung nach die Sichtbarkeit der Kirche gerade auch in der heutigen Zeit von großer Bedeutung. Ich sehe sie, ich lese ihr Angebot und freue mich darüber, daran teilnehmen zu können, wenn ich möchte.

Und das tolle an den Fahrrädern ist ja: Sie sind umweltfreundlich. Sie schaden niemandem, halten einen selbst fit und lassen frischen Wind um die Ohren pfeifen…

Frei zum Handeln

In der vorletzten Woche kamen dann auch die Flüchtlinge aus der Ukraine in die Gemeinde nach Helsinki. Mit Hilfe von engagierten Menschen konnten wir zwei geflüchteten Familien eine Wohnung zur Verfügung stellen. Innerhalb von kürzester Zeit wurde durch Spenden die ganze Einrichtung von der Mitarbeiterschaft zusammengetragen und in die Wohnungen gebracht. Es wurde in einer Blitzaktion ein richtig schönes Heim. Dort können sie jetzt erstmal sein, bis sie wissen wie es weiter gehen wird.

Und ich musste im Zuge dessen über unsere Arbeit als Pfarrpersonen nachdenken. Wir haben hier einige Zeit aufgebracht, um auf die Busse und Flüge zu warten – um Ihnen ein möglichst gutes Ankommen zu ermöglichen. Ich treffe die Familie auch noch weiterhin und versuche mich mindestens einmal alle zwei Tage bei Ihnen zu melden. Die Arbeit mit Menschen oder die Arbeit am Mitmenschen. Ist es nicht eigentlich das, was der Mittelpunkt unserer pastoraler Arbeit sein sollte? Menschen treffen, Menschen begleiten und einfach da sein. Ein Mitmensch für den Anderen sein. Einer anderen Familie aus der Ukraine verhalfen wir zur Weiterreise in ihr Zielland. Fast einen ganzen Tag verbrachten wir zusammen. Als ich eine Weile mit Ihnen unterwegs war, fragten sie mich: “Musst du nicht arbeiten und was anderes tun?” und im Luxus meines Spezialvikariates konnte ich ihnen antworten: “Nein! Das hier ist meine Arbeit!”

Pfarrerinnen und Pfarrer werden in Deutschland von ihrer Kirche alimentiert. Es wird im Sinne des Alimentationsprinzips von ihrem Dienstherrn, der jeweiligen Landeskirche, für sie gesorgt. Besonders prägend ist mir der Satz meines Professors hängengeblieben, als er einmal gesagt hat: “Weshalb denkt ihr, bekommen wir Pfarrerinnen und Pfarrer am Anfang des Monats Gehalt?” Seine Antwort ging dann in die Richtung, dass wir durch das Gehalt am Anfang des Monats die Freiheit bekommen um für die Menschen da zu sein. Wir brauchen nicht erst für unseren Lohn zu arbeiten, sondern wir bekommen den Lohn im voraus um frei zu sein für die Begegnung mit Menschen und frei zu sein für unsere pastorale Arbeit. Diese Antwort fand ich damals sehr beeindruckend (und finde ich immer noch). Denn das hieße konzequenterweise, dass Pfarrerinnen und Pfarrer nicht für eine gewisse Leistung entlohnt werden, sondern für ihr Lebensunterhalt gesorgt wird, damit sie ihre Zeit wichtigeren Dingen als der Lohnarbeit widmen können. – Zeit für Begegnung. Zeit für den Dienst am Menschen und an Gott.

Wir werden also regelrecht bezahlt dafür frei zu sein für…

Diese Denkweise finde ich äußerst charmant, gerade in der heutigen Zeit, in der alles gegeneinander aufgerechnet wird. Das – Wieviel muss ich arbeiten um wieviel Lebensunterhalt zu bekommen? – würde dann entfallen. Arbeitszeitenregelungen sind in diesem Denken nicht vorgesehen. Denn meine Zeit ist frei. Und was zunächst fantastisch klingt: Das “Ich habe Zeit und bin frei mich um die Menschen zu kümmern” birgt die Gefahr der Überforderung mit sich. Wieviel Zeit räume ich denn eigentlich den Dingen ein? Wieviel Zeit für meine Mitmenschen? Wieviel Zeit für Gott und seine Schöpfung? Wieviel Zeit für meine Familie und wieviel Zeit schlussendlich für mich? Und in welcher Gewichtung ordne ich diese Zeiten?

Gerade als Mutter mehrerer kleiner (und mittlerweile schon etwas größerer) Kinder fällt mir diese Entscheidung dann doch nicht so leicht. Die Freiheit des Zeithabens – und dann gibt es soviel zu tun! Als angehende Pfarrerin – als Mutter – als Privatperson. An so vielen Orten könnte ich sein! Da ertappe ich mich dann trotz all der Freiheiten machmal dabei, dass ich mich nach einer Arbeitszeitenregelung sehne. Nach einer Regelung, die mich in meiner Freiheit einschränkt und mir ganz klare Vorgaben gibt, wie wann was zu tun ist. Und wann es halt auch nicht zu tun ist! Wann ich frei habe vom Freihaben…

…und dann erkenne ich: “HALT – STOP: Das kann auch nicht der richtige Weg sein!”

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